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In den USA ist Account-Based Marketing (ABM) schon lange fixer Bestandteil im B2B-Marketing, im deutschsprachigen Raum ist es hingegen noch ein mythisches Wesen – unbekannt, aber man erzählt sich wundervolle Geschichten darüber.
Das Thema nimmt aber auch hierzulande langsam Fahrt auf, wobei ABM leider oft als innovatives Feigenblatt dient, hinter dem die gleichen alten Kampagnen und Ansätze stecken. So habe ich das jedenfalls bei einschlägigen Konferenzen wahrgenommen.
B2B-Marketer, die hingegen tief in die Grundlagen von ABM eintauchen wollen, kann ich das Buch „Acccount-Based Marketing: The Definitive Handbook for B2B Marketers“ von Bev Burgess empfehlen. Die Frau muss es wissen, denn immerhin soll sie gemeinsam mit Sarah Sheppard den Begriff Account-Based Marketing geprägt haben, nachdem sie im September 2003 realisiert hatte, dass Marketer bei IT-Unternehmen zunehmend auf einzelne Accounts abgestellt wurden. (S. 5)
Was ich am Buch besonders mag, ist die Einteilung von ABM in fünf Dimensionen, wobei ich die letzte Dimension „Persuit Marketing“ als weniger relevant erachte und ich mich deshalb auf die ersten vier konzentriere:
- Strategisches ABM (Strategic ABM)
- Szenario ABM (Scenario ABM)
- Segment ABM
- Programmatisches ABM (Programmatic ABM)
Strategisches ABM
- Fokus: Bestehende Kunden
- Individualisierung: Sehr hoch
- Kosten: $40.000 pro Account pro Jahr
- Plan: Individueller Plan für jeden Account
- Promotion: one-to-one
Laut Burgess maximal 3 Accounts pro Marketer. Strategisches Account-Based Marketing ist sehr aufwendig und macht nur Sinn für Unternehmen wie etwa Accenture oder SAP mit ACVs, die in die Millionenbeträge gehen.
Top-Taktiken (Content) im strategischen ABM
- VIP-Events
- Executive Engagement
- Innovations-Workshops
- Individuelle Landingpages
- Individuelle Videos
- Visuelle Identität des Accounts hervorheben
- „Lunch and Learn“-Veranstaltungen
- Paid Social Media
- Gemeinsame CSR/ESG-Aktivitäten
- Einladungen (Hospitality)
- Partnerschafts-Review/“Value Report“
- Digitale Werbung
- Webinare
- Steigerung von Kunden-Status/-Profil
- Benchmarking-Forschung
- Gemeinsame Award-Einreichungen
- Organisches Social Media
- E-Mail-Marketing
Fallstudie strategisches ABM
Kyndryl, ein weltweit führender Anbieter für IT Infrastruktur Service: Innerhalb eines Monats wurde ein „Data Breach“ simuliert und als Übung vor Ort beim Kunden im Boardroom und für Board Members abgehalten. Die Vorstände wurden nur mit kurzer Einladung und Erklärung eingeladen. Videoeinspieler wurden produziert und ein Fallout auf Social Media simuliert. Danach gab es ein Follow-up. Es gab eine hundertprozentige Show-Rate der Vorstände, was wohl daran lag, dass Kyndryl die IT-Abteilung auf ihrer Seite hatte. Für mich auch ein Hinweis, wie wichtig es ist, bestehende Kontakte im Unternehmen zu „Komplizen“ für die eigene Sache zu machen.
Szenario ABM
- Zielgruppe: Bestehende Kunden (Top 1-6 %)
- Individualisierung: hoch
- Kosten: $28.000 pro Account pro Jahr
- Plan: Individueller Plan für jeden Account
- Promotion: one-to-one
Während strategisches ABM eigens auf den Account abgestimmte Inhalte erstellt, werden beim Szenario ABM bestehende Inhalte (Thought Leadership) und (Event)-Konzepte übernommen. Trotzdem geht es vor allem darum, „High-Touch“-Erlebnisse zu schaffen. Die Top-Taktiken sind sehr ähnlich wie unter strategischem ABM beschrieben.
Segment ABM
- Üblichste Form von ABM
- Zielgruppe: Primär bestehende Kunden (Top 20 %), aber auch Ansprache von Prospects
- Individualisierung: mittel
- Kosten: $ 9.500 pro Account pro Jahr ($95.000 pro Segment)
- Plan: für ein Segment, welches im Durchschnitt 10 Accounts umfasst.
- Promotion: one-to-few
Datenanalysen (u.a. aus öffentlichen Daten wie Webseite, Nachrichten) werden verwendet, um strategische Gemeinsamkeiten von Accounts herauszuarbeiten und dann mittels ABM anzusprechen. Hier spielen digitale Kanäle eine größere Rolle als „High-Touch“-Aktionen. Das Konzept von Buyer Persona kommt ins Spiel.
Programmatisches ABM
- Zielgruppe: Prospects (500 Organisationen/Kampagne)
- Individualisierung: niedrig
- Plan: Ideal Customer Profiles (ICP) ansprechen
- Content: Kuratierung bestehender Inhalte und Verwendung primär auf Online-Kanälen
- Promotion: one-to-many
Burgess beschreibt, dass darüber gestritten wird, ob „programmatisches ABM“ überhaupt noch ABM ist. Für mich hat das eine gewisse Ironie, denn wenn in Österreich über ABM gesprochen wird, dann in aller Regel über diese Form und zur Ansprache von Prospects und nicht von Kunden.
Sweetspot für Programmatisches ABM:
- Ideal Customer Profile (ICP)
- Absichtsdaten (Intent data) aus mehreren Quellen
- Buyer Persona
Diese drei Punkte sind jeweils Schlüsselbegriffe im B2B-Marketing und sind wahrscheinlich jedem B2B-Marketer geläufig, wobei das gut hinzubekommen schwerer getan ist als gesagt.
Sales vs und Marketing
Das Buch ist auch ein bisschen Balsam auf meiner Seele. Denn ich betreue das (programmatische) ABM bei CELUM und mich hat frustriert, dass die Sales-Kollegen nicht so mit vorhandenen Daten arbeiten, wie ich mir das vorgestellt habe. Beim Lesen kam mir aber die Erkenntnis, dass der datengetriebene Ansatz immer schon eine Domäne des Marketings war und genau das ja auch die Stärke des Marketings ist.
Genauso hat mich Burgess etwas milder beim Thema Bearbeitung von Leads gestimmt. Denn Burgess beschreibt es als ein sehr typisches Problem, dass Marketing, stolz auf seine Leads, diese an den Vertrieb übergibt und dieser den Leads nicht nachgeht, weil „falscher“ Account. (S. 28) Eine Situation, die ABM, richtig gemacht, auch reduzieren kann.
ABM im DACH-Raum?
Ich hätte eigentlich gerne ein Buch auf deutsch über ABM gelesen. Zum einen, weil es sich am Abend bei einem Glaserl Wein doch einfacher in der Muttersprache liest und zum anderen, um zu erfahren, welche Menschen dieses Feld federführend in unseren Breitengraden beackern. Nur, es gab ein solches Buch nicht. Für mich auch ein Zeichen, dass sich das Konzept im deutschsprachigen Raum noch nicht durchgesetzt hat. Es ist für mich faszinierend selbst mitzuerleben, mit welcher Verzögerung sich Trends bei uns erst durchsetzen.