9gag ist lustig, ab und zu schwachsinnig und manchmal kreativ. Mich persönlich fasziniert bei diesem Imageboard aber mehr die radikale Vermischung von Realität und Fiktion. Auf 9gag gibt es keine zuordenbare Urheberschaft, keine Quellenangaben und keine Qualitätskontrolle, trotzdem tut das der Beliebtheit der Seite keinen Abbruch. Die Wahrheit ist vielleicht auch nicht so wichtig, vorausgesetzt User erzählen einfach nur einen Schwank aus ihrem Leben. Etwas skurril wird die Sache allerdings, wenn Geschichten in Form von Zeitungsausschnitten verbreitet werden, die ein reales Ereignis postulieren. Durch die Form des Zeitungsausschnittes soll offenbar mehr Glaubwürdigkeit erzeugt werden. Hier ein aktuelles Beispiel:
Diese Bild wurde mit 25.301 Stimmen auf die „Hot-Page“ von 9gag „upgevoted“ und verschiedene User kommentieren den „glücklichen Ehebruch“. Die Geschichte wird also zumindest von Teilen der Besucher ernst genommen. Nur: Wer glaubt eigentlich so einen Scheiß und warum?
Theorie des kommunikativen Handelns
Eine Antwort liefert der altehrwürdige Jürgen Habermas. In seiner berühmten „Theorie des kommunikativen Handelns“ beschreibt er, welche universalen Bindungen eine gelingende Verständigung voraussetzen. Ansprüche sind
- Verständlichkeit (wohlgeformte Sätze und Ausdrücke müssen gebildet werden)
- Wahrheit (Der aktiv Handelnde muss über etwas kommunizieren, dessen reale Existenz auch vom Kommunikationspartner unterstellt wird)
- Wahrhaftigkeit (das dem Kommunikationsakt zugrunde liegende Interesse darstellen)
- Richtigkeit (Einklang mit Werten und Normen) (vgl. Burkart, 2002: S. 437f) [ref]Burkart, Roland (2002): Kommunikationswissenschaft. Grundlagen und Problemfelder ; Umrisse einer interdisziplinären Sozialwissenschaft. 4. Aufl. Wien [u.a.]: Böhlau.[/ref]
Laut Habermas müssen diese universalen Ansprüche sowohl der kommunikativ Handelnde wie auch sein Gegenüber anerkennen oder anders ausgedrückt: Damit Verständigung zwischen Menschen gelingt, braucht es erst einmal ein kommunikatives Einverständnis der Beteiligten. (vgl. ebd., S. 439) Um nicht an Kommunikationsarmut zugrunde zu gehen, sind wir also sogar gezwungen vom Gegenüber verständliches, wahrheitsgemäßes, wahrhaftiges und aufrichtiges Kommunizieren anzunehmen. Das ist auch einleuchtend, denn ansonsten wäre etwa auch das Fragen von Passanten nach dem Weg völlig sinnlos.
Diese Vorbedingungen haben wir verinnerlicht und wenden sie selbstverständlich auch im Internet an. Kein Wunder also, dass sich viele User erst einmal „gläubig“ verhalten, anders wäre Kommunikation gar nicht möglich. Das führt übrigens bei 9gag zu einem Paradoxon: Ich muss dort sogar mehr Glauben in die Erfüllung der vier universellen Ansprüche durch den uploadenden User haben, denn ansonsten ist die Nutzung von 9gag sinnlos und damit würde auch der Spaßgewinn verloren gehen. Einfacher ausgedrückt: Ich will mir den Spaß nicht durch eine ständige und meist fruchtlose Prüfung der Inhalte verderben lassen, aber laufe dadurch in Gefahr, Glaubwürdigkeit auf einem sehr niedrigen Niveau anzusetzen. Wir glauben also deshalb so viel Scheiß, weil wir schon aufgrund der allgemeinen Voraussetzungen für gelingende Kommunikation dafür anfällig sein müssen.
Nur weil das nach der TKH die Voraussetzungen für gelingende Kommunikation sind, heißt das aber nicht, das Kommunikation immer gelingt. Im Alltag und auch in der Mediennutzung zweifelt man die vier Voraussetzungen ja öfter an. Sie sind nicht selbstverständlich gegeben, sondern müssen immer wieder aufs Neue etabliert werden.
Ich finde die Geschichte mit dem aufgeflogenen Ehebruck unterhaltsam, auch wenn ich sie nicht glaube. Eine gute Geschichte muss ja nicht so passiert sein, aber es hilft sicherlich, dass sie so passiert sein könnte.
Genau. Die Voraussetzungen müssen immer wieder aufs Neue etabliert werden und das setzt auch Glaubwürdigkeit voraus. Wir sind also fast gezwungen, auf die Mitteilungen unserer Mitmenschen nicht a priori mit absoluter Skepsis zu reagieren.
Das mit dem Ehebruch ist frei erfunden, wie eine kurze Google-Recherche klarmacht. Genauso wie auf 9gag die Geschichte einer Russin gehypt wurde, die einen ertappten Einbrecher als Sexsklaven gehalten haben soll. Die Story wurde allerdings auch vom 9gag der Printwelt, der „The Daily Mail“, verbreitet. 😉 http://www.forbes.com/sites/kiriblakeley/2011/07/14/russian-sex-slave-media-mystery/
Geschichten können gerne der Phantasie entspringen, wenn sie denn also solche deklariert werden oder zumindest nichts Faktisches behaupten. (wie die ganzen geschilderten persönlichen Erlebnisse auf 9gag) Aber hier wird mit allen Mitteln versucht, den Anschein zu erwecken, dass es tatsächlich so geschehen ist. Im Endeffekt ist die Täuschungsabsicht für viele kein Problem, weil die kapieren, dass a.) solche „unglaublichen“ Geschichten ohne Quellen oä auf b.) einer Seite wie 9gag auch schlicht nicht glaubwürdig sind. Allerdings gibt es dann doch wieder einige User, die das sehr wohl glauben und das hat mich eben zu der Frage geführt, warum wir überhaupt in die Versuchung geraten so einen Scheiß zu glauben.