Diese Rezension war eine Auftragsarbeit für die Politische Akademie über Frank Ochmanns Buch: Die gefühlte Moral. Warum wir Gut und Böse unterscheiden können. Ullstein Bucherverlage GmbH. Berlin: 2008, € 19,90.
An der Wirtschafskrise sind die gierigen und selbstsüchtigen Kapitalisten Schuld. Die Ausländer sind kriminell und gewaltbereit, die Frau wird von der Religion unterdrückt und die Mächtigen knebeln die hilflosen Unterworfenen. Hier die Guten, dort die Bösen.
Wie aber kommt der Mensch zu solchen (Vor-)Urteilen und sind diese gerechtfertigt? Dass es kein Schwarz-Weiß-Schema gibt, mach Frank Ochmann in seinem Buch über die Moral gleich von Anfang an klar. Der Mensch schwankt vielmehr in seinem Leben mal zum Guten mal zum Bösen. Warum aber ist das so? Warum können wir auch gewalttätig, habgierig, sadistisch, heulerisch oder arrogant sein? Warum fehlt es manchen offensichtlich an Mitleid? Steckt vielleicht „das Böse“ von Geburt an in jedem von uns?
Der Autor promovierte in Physik, studierte danach Theologie und lies sich schließlich zum Priester weihen. Gute Voraussetzungen also, um genau diese Fragen zu beantworten. Denn die Moral, früher eine Domäne der Theologie und Philosophie, hat mittlerweile auch Einzug in die Naturwissenschaften gefunden. Die Naturwissenschaft nähert sich der Moral mittels einer biologischen Betrachtungsweise an. Ochmann will hier Schnittstelle zwischen Naturwissenschaft und Geisteswissenschaft sein.
Das Gen für unseren Charakter
Am 26. Juni 2000 wurde im Weißen Haus die „Entschlüsselung des menschlichen Genoms“ proklamiert. Wissenschafter und Journalisten waren euphorisch, die DNA wurde als die „Wirklichkeit unserer Spezies“ bezeichnet. Wenige Jahre später war die Euphorie verblasst und viele Fragen waren unbeantwortet geblieben. Trotzdem, es soll einen biologischen Einfluss auf das Verhalten des Menschen geben. So sieht der französische Psychiater Philippe Courtet bei Jugendlichen mit Selbsttötungsabsichten eine besondere „genetische Verwundbarkeit“. Diese Position ist aber umstritten. Für den Philosophen Michel Onfray ist der Mensch ein Produkt seiner Umwelt. Damit steht er in der Tradition der Empiristen, für die der Mensch „tabula rasa“, also als unbeschriebenes Blatt zur Welt kommt. Der Cousin Charles Darwins, Francis Galton, schrieb hingegen schon im 19. Jahrhundert: Der Mensch wird von Genen aber auch von Erziehung und Erfahrung bestimmt.
Ähnlich sieht das Frank Ochmann und beantwortet gleich die Frage, warum der Mensch nicht nur von den Genen bestimmt wird: Die Bausteine der DNA dürfen nämlich nicht wie ein Blaupause verstanden werden, sondern eher wie die Tasten eines biochemischen Klaviers. Welcher Ton zu hören ist, hängt davon ab, welche Taste zu welchem Zeitpunkt angeschlagen wird. Der genetische Plan in unseren Zellen ist dynamisch und nicht statisch. Über oder neben dem Genom liegt anscheinend noch ein anderer Code, das sogenannte Epigenom, das sich über die Zeit verändert. Aber nicht nur das: Auch unterschiedliche Lebensstile und Wohnorte haben zur Veränderung beigetragen. Es gibt daher keine genetische Vorbestimmung für den menschlichen Geist, für unseren Charakter oder für unsere moralische Gesinnung. Genauso wie es auch kein Sprach-Gen, kein Verbrecher-Gen oder Gott-Gen gibt.
Ewige Moral oder Moral als gesellschaftlicher Konsens?
Moral ist gar nicht so einfach zu fassen, denn erst durch soziale Vereinbarung wird das Gute vom Bösen getrennt. Um Überleben zu können, gliedern und kategorisieren die Menschen die Welt – das hilft schnelle Entscheidungen zu treffen. Vorurteile haben also ihren Sinn. Wenn Menschen Allianzen eingehen müssen, zählt so vor allem das Kriterium der Ähnlichkeit.
Das Mitgefühl
Eine besondere Eigenschaft des Menschen ist die Empathie, also sich in den anderen hineindenken zu können. Wie aber schafft das das Hirn? Erst vor kurzem wurden die Spiegelneurone entdeckt. Sie werden bereits dann aktiviert, wenn wir Handlungen anderer Personen beobachten. Wirft zum Beispiel unser gegenüber einen Ball, sorgen die Spiegelneuronen dafür, dass wir diese Bewegung in unserem Hirn nachahmen. Dieses Hineinfühlen in andere kann sehr weit gehen. In einem Experiment wurden Liebespaare schwache Stromschläge versetzt. Wenn auch nur ein Partner einen Stromschlag erlitt, wurde das im Gehirn des anderen Partners wie als eigener Schmerz empfunden.
Die Hirnforschung hat ebenfalls gezeigt, dass es uns gut tut, gut zu sein. Denn dann wird das Belohnungssystem des Gehirnes aktiviert. Warum aber sind dann viele Menschen egoistisch? Weil das Gehirn immer auf der Suche nach Belohnung ist und Belohnung wird als ein gutes Gefühl empfunden. Zum Beispiel reagieren Menschen sehr negativ, wenn zwischen ihnen und anderen große Ungerechtigkeit herrscht. Stehen sie aber selbst auf der bevorzugten Seite, erzeugt dass zumindest primär ein gutes Gefühl. Wie sehr wir aber mit anderen mitempfinden, hängt auch stark von der Sympathie für denjenigen ab.
Böse Triebe
Im Kapitel „Böse Triebe“ macht sich Ochmann auf die Spur von Gut und Böse. Böse ist dabei allerdings nicht absolut vorgegeben, sondern von den gesellschaftlichen Erwartungen abhängig. So ist die Todesstrafe in manchen Ländern etwa ein legitimes Mittel der Bestrafung, in anderen Ländern unmoralisch. Wie aber kommt der Mensch überhaupt zu sozialem und moralischem Denken? Ochmann verweist vor allem auf psychologisch-biologische Untersuchungen. Eine wichtige Rolle spielen der präfrontale Kortex und die sogenannten Amygdalae im Gehirn. Sehr erstaunlich ist da zum Beispiel die Geschichte eines Mannes, dessen präfrontaler Kortex durch einen Unfall schwer beschädigt wurde. Weder seine Intelligenz noch seine Gedächtnisleistung litten darunter, aber er war fortan unfähig soziale Verhaltensregeln einzuhalten. Sein gesamtes soziales Verhalten änderte sich grundlegend.
Wie aber kommen wir dann zu unseren moralischen Standards? Auch hier bringt Ochmann wieder viele interessante wissenschaftliche Beispiele. Vor allem durch Mimik, Gestik und Urteile der Eltern wird dem Kind gezeigt, was gewünscht und was nicht gewünscht ist. Allerdings setzt sich das Kind mit den moralischen Regeln sehr wohl kritisch auseinander. Auch die Idee, dass die Vernunft die Moral bestimmt, wird entzaubert. So scheint es besonders wichtig für gutes Handeln, auch die passenden Gefühle dazu zu haben. „Der emotionale Hund wackelt mit dem rationalen Verstand.“
Im abschließenden Kapitel geht Ochmann darauf ein, wie wichtig moralische Normen für den gesellschaftlichen Zusammenhalt sind. Wichtig ist auch, dass an diese Normen alle Mitglieder der Gesellschaft partizipieren.
Frank Ochmann hat es mit der „Die gefühlte Moral“ geschafft, ein schwieriges Thema klar und gut verständlich aufzubereiten. Dabei baut er auch sein theologisches Wissen ein und ergänzt damit die Fülle der wissenschaftlichen Fakten. Gewürzt wird das Buch mit einem Schuss Humor. So kann man staunen über die neueste wissenschaftlichen Erkenntnisse, um dann wieder zu schmunzeln. Das macht das Buch kurzatmig und lesenswert.