Dem Roman „Effi Briest“ von Theodor Fontane liegt eine wahre Begebenheit zu Grunde. Elisabeth (geboren Freiin von Plotho) heiratete – aufgrund einer Intervention der Mutter – Armand Léon Baron von Ardenne. Das junge Ehepaar übersiedelte nach Düsseldorf, der Ehemann war dort als Rittmeister der Husaren angestellt. Sie hatten einen großen Freundeskreis, dazu zählt auch der Amtsrichter Hartwich. Elisabeth und Hartwich gingen eine Liebesaffäre ein, beide wollten sich von ihren Ehepartnern scheiden. Doch ihr Ehemann erfuhr von der Affäre, besorgte sich die Korrespondenz des Liebespaares, reicht die Scheidungsklage ein und forderte seinen alten Freund zum Duell auf. Hartwich starb aufgrund seiner Verletzungen wenige Tage nach dem Duell. Baron von Ardenne wurde sehr mild bestraft und konnte bald seine militärische Karriere fortführen. Elisabeth durfte hingegen ihre Kinder nicht mehr sehen und setzte sich bis zu ihrem Tode für humanitäre Aufgaben ein. Fontane soll angeblich bei einem Tischgespräch von dieser Liebesgeschichte erfahren haben. Obwohl er gerne von der Leichtigkeit, mit der ihm das Werk unter der Hand entstanden sei, spricht, brauchte er gut sechs Jahre für die Vollendung des Romans. Während dieser Schaffensperiode hatte er auch einen Nervenkollaps.
Hintergründe und Idee zum Werk
Das Milieu in diesem Roman – er spielt im niederen Adel – passt eigentlich gar nicht zu Fontanes Geschichten. Das hat auch mit seiner Biografie zu tun: Sein Vater war Apotheker, der aber aus finanzieller Not seine Apotheke verkaufen musste. So wuchs Fontane in eher kärglichen Verhältnissen auf und konnte daher auch nicht seine Schulausbildung vollenden. Bezug zu dieser Gesellschaftsschicht und damit zum Stoff seines Romans, bekam der überzeugte Demokrat jedoch durch befreundete Literaten im Dichterverein „Tunnel über der Spree“. Sie verschafften ihm Jobs bei erzkonservativen Zeitungen, die er aber immer schnell aufgab und kündigte. Dadurch gewann er aber einen Einblick in den Alltag des Adels. Das alleine war aber nicht der Beweggrund für das gewählte Milieu. So sagt er selbst: „[…] der Gesellschaftszustand, das Sittenbildliche, das versteckt und gefährlich Politische, das diese Dinge haben, … das ist es, was mich so sehr daran interessiert.“
Überholte moralische Zwänge
Im Roman werden dieser Gesellschaftszustand und das versteckt Politische vor allem in den „langweiligen Besuche“ der lokalen adeligen Schicht dargestellt, indem sich auch Effi mit dem richtigen Make-up, der korrekten Bekleidung und der passenden Wortwahl profilieren muss, um nicht einen schlechten Ruf zu bekommen und schlimmstenfalls die Karriere Imstettens zu behindern. Das Sittenbildliche erkennt man vor allem an den Zwang Innstettens sich mit seinem alten Freund zu duellieren, obwohl er persönlich dessen Affäre mit Effi Briest verzeihen könnte, aber: „[…]die Gesellschaft verachtet uns, und zuletzt tun wir es selbst und können es nicht aushalten und jagen uns die Kugel durch den Kopf.“
Theodore Fontane bringt aber auch sehr differenziert die (finanziellen) Zwänge der Gesellschaft auf den Punkt. So lässt er die Mutter zu Effi sagen: „[…] und wenn du nicht nein sagst, was ich mir von meiner klugen Effi kaum denken kann, so stehst du mit zwanzig Jahren da, wo andere mit vierzig stehen. Du wirst deine Mama weit überholen.“ Und auch Effi – die Innstetten zuvor noch als ältlich bezeichnet hatte – kommt unter Druck zur folgenden Aussage: „Geert ist ein Mann, ein schöner Mann, ein Mann, mit dem ich Staat machen kann und aus dem was wird in der Welt.“
Geldnot des Autors
Das spiegelt auch sehr schön die Situation Fontanes wieder, der permanent an Geldnot litt. Zitat: „Man kann nun mal als anständiger Mensch nicht durchkommen.“ Er konnte sich lange nicht seiner Berufung – dem Schreiben von Romanen und Balladen widmen – sondern musste, mehr oder weniger zwangsweise, als Journalist für die Propaganda Preußens arbeiten. Durch die aufgedeckte Liebesaffäre Effis wird im Roman die Katastrophe herbeigeleitet. Trotzdem glaube ich, dass Fontane nicht in der verbotenen Liebesbeziehung den gewichtigsten Punkt sieht, sondern in den gesellschaftlichen Regeln, die die Figuren mehr und mehr zu Spielbällen macht. Dennoch will Fontane – der im Alter zunehmend kritischer der bürgerlichen Frau gegenüberstand – Effi nicht als bloßes Opfer sehen. So schrieb er einer Leserin: „Ja, Effi! Alle Leute sympathisieren mit ihr und Einige gehen so weit, im Gegensatze dazu, den Mann als einen alten Ekel zu bezeichnen. Das amüsiert mich natürlich, gibt mir aber auch zu denken, weil es wieder beweist, wie wenig den Menschen an der sogenannten Moral liegt und wie die liebenswürdigen Naturen dem Menschenherzen sympathischer sind. (…) Denn eigentlich ist er doch in jedem Anbetracht ein ganz ausgezeichnetes Menschenexemplar, dem es an dem, was man lieben muß, durchaus nicht fehlt.“
Vom Schicksal gefangen
Das Stück lässt sich aber nicht nur autobiografisch betrachten. Geht man zur psychoanalytischen Methode über, sehe ich den schwerwiegendsten Grund für die Tragödie in der Unreife und Kindlichkeit Effis. Im Roman wird das durch das Spiel auf der Schaukel, dem Wunsch nach einem eigenen Spielplatz und später der Spukgeschichte (die Innstetten geschickt als Erziehungsmittel einsetzt) verdeutlicht. So lässt sich auch erkennen, dass die Affäre nicht wirklich das Ergebnis ihres eigenen Willens sondern vielmehr ihrer Unfähigkeit ist, sich dem Willen des Majors Crampas zu widersetzen. Scheidung und Heirat ziehen Effi und Crampas nie ernsthaft in Erwägung, auch wenn Effi einmal von „Flucht“ spricht. Innstetten sucht auch nicht mit Absicht nach Beweismaterial für eine Scheidung, sondern stolpert zufällig darüber und glaubt, der Pflicht zur Wiederherstellung seiner Ehre durch ein Duell genügen zu müssen. So ergibt sich das Bild einer verhängnisvollen Verstrickung in der Crampas und Effi ihr Leben lassen müssen und auch Innstetten ohne Genugtuung zurückbleibt.
Isoliertes Leben
Aber wie kam es überhaupt zu dieser unheilvollen Entwicklung? Effis Ehrgeiz – der aber lediglich ein Anspruch der Mutter ist und durch die Erziehung eines guten Hauses Effi angelernt wurde – lässt sie diese Ehe zustimmen. Das es durch den noch – wie eingangs schon erwähnt – kindlichen, aufgeweckten und lebensintensiven Charakter Effis, im Gegensatz zum tadellosen, ehrenvollen und introvertierten Charakter Innstettens zu Problemen kommen muss, wird dabei geflissentlich übersehen. Auch die Eltern, vor allem aber die Mutter sind sich sehr wohl bewusst, dass Innstetten den Bedürfnissen Effis nicht entsprechen kann: „Und was das Schlimmste ist, er wird sich nicht einmal recht mit der Frage beschäftigen, wie das wohl anzufangen sei.“ Das gemeinsame Eheleben in der Kleinstadt Stettin gestaltet sich dann eigentlich erwartungsgemäß. Innstetten, ganz mit seiner Karriere beschäftigt, verbringt einen Großteil seiner Zeit außer Haus und lässt Effi dabei weitgehend isoliert zurück, zumal sie auch im Ort selbst kaum Kontakte knüpfen kann. Nach und nach baut sich Effi aber eine Art Ersatzfamilie auf. Mit dem Apotheker Gieshübler als Ersatzvater, Roswitha als Kindermädchen und schließlich der eigenen Tochter als „liebes Spielzeug“.
Trotzdem wird Effi erwachsen. Auf Dauer kann diese Konstruktion ihre Bedürfnisse als Frau kaum befriedigen und Innstetten ist nicht der Mann, der die entstehende emotionale Lücke füllen könnte. Die Affäre mit Crampas scheint da wie vorprogrammiert: „(…) die Kugel war im Rollen, und was an einem Tage geschah, machte das Tun des anderen zur Notwendigkeit.“
Doch im Grunde wäre Crampas auch leicht austauschbar, denn er füllte nur eine Leerstelle aus. So ist Effi sehr erleichtert als der Umzug nach Berlin bevorsteht und sie die Liebesbeziehung beenden kann. Erst jetzt wird sie sich der Rolle als Ehefrau und Mutter bewusst.
Gesellschaftliche Normen führen ins Unglück
Damit hätte die Geschichte auch mit einem Happy End enden können, aber Innstetten entdeckt zufällig, nach sechs Jahren, die Liebesbriefe. Wieder kommt die Kugel ins Rollen, diesmal allerdings aus einem scheinbar unabänderbar verpflichtenden Ehrekodex. Mit der nun eintretenden Wende scheint sich die Gerechtigkeit zu erfüllen. Crampas fällt, Effi wird durch die Scheidung geächtet und stirbt schließlich. Damit wären die Täter bestraft. Aber Fontanes Roman verbirgt noch mehr. Schon die Tatsache, dass Effis Vater gegen den Willen der Mutter die kranke Tochter nach Hause holt, stellt den Sinn dieser starren Verhaltensgesetze in Frage: „Aber das ist nun schon wieder eine halbe Ewigkeit her; soll ich hier bis an mein Lebensende den Großinquisitor spielen?“
Und vor allem die Entwicklung Innstettens entlarven sich der damals gepflegte Ehrbegriff und die an ihn geknüpften Konsequenzen als unmenschlich. „Rache ist nichts Schönes, aber was Menschliches und hat ein natürlich menschliches Recht. So aber war alles einer Vorstellung, einem Begriff zuliebe, war eine gemachte Geschichte, halbe Komödie“.
Diese allerdings tödlich endende Komödie verschafft ihm keine Genugtuung – im Gegenteil, sein bitteres Fazit lautet: „Mein Leben ist verpfuscht“.