Rezension: Kepplinger, Hans Mathias (2011): Journalismus als Beruf. 1. Aufl. Wiesbaden: VS, Verl. für Sozialwiss. ISBN: 978-3-531-18470-8
Der Kommunikationswissenschafter Hans Mathias Kepplinger leitet sein Buch Journalismus als Beruf mit einer geschichtlichen Darstellung ein. Demnach hat sich der Journalismus im 19. Jahrhundert von einer Nebentätigkeit zu einem Ganztagesberuf entwickelt. Genau dieses Profil verliert im 21. Jahrhundert aufgrund von Internet und Bloggern wieder an Schärfe. Ohne es ausdrücklich zu nennen, spricht Kepplinger damit die Medienkonvergenz an, indem er die verschwimmenden Berufsprofile von Presse-, Hörfunk- und Fernsehjournalisten anspricht. (vgl. Kepplinger, 2011: S. 7)
Kepplinger beschäftigt sich in seinen Forschungen stark mit Medienwirkungen auf Individuen. Es ist deshalb überraschend, dass er im Buch Journalismus als Beruf mit einem systemtheoretischen Ansatz startet. Demnach ist Journalismus ein Subsystem der Gesellschaft und wie jedes andere System versucht auch der Journalismus vollständige Autonomie zu erhalten und sich selbst aufzuwerten. Genau das passiert aber immer auf Kosten eines anderen Systems.
Ein System kann immer als Akteurs- oder als Regelsystem begriffen werden. Letzteres meint die Fokussierung auf die Normen innerhalb eines Systems und ersteres auf die in diesem System tätigen Menschen (vgl. ebd.: S. 9). Kepplinger gibt zu bedenken, dass sich heute alle anderen gesellschaftlichen Subysteme den Erfolgsbedingungen der Medien anpassen müssen. Diese Logik wird auch gerne als Medialisierung [der Gesellschaft, Anm. d. Verf.] bezeichnet. Ein Spezifikum des Journalismus ist laut Kepplinger, dass keine Ziele des beruflichen Handelns und allgemeine anerkannte Normen existieren (vgl. ebd. S. 13).
Kepplinger widmet sich dann den methodischen Möglichkeiten der Kommunikationsforschung. Am häufigsten werden in der Kommunikationswissenschaft Befragungen angewendet. Feldexperimente wären zwar sehr erkenntnisbringend, sind aber nicht umsetzbar, weil man die experimentellen Faktoren nicht manipulieren kann. Eine gangbare Alternative sind Quasi-Feldexperimente (vgl. ebd.: S. 16). Anschließend nennt Kepplinger wichtige Theorien, die Ursachen, Wirkungen und Funktionsweise des Journalismus erklären können:
- die vergleichende Staats- und Rechtstheorie
- die Entwicklungs- und Dependenztheorie (Abhängigkeiten von Entwicklungsländern von den westlichen Staaten)
- die Systemtheorie
- die Theorie der öffentlichen Meinung
- die Wettbewerbstheorie
- die Organisationstheorie
- die Bezugsgruppentheorie
- die Rollentheorie
- der Attributionstheorie
- die Konsistenztheorie und die
- Nachrichtenwerttheorie (Kepplinger, 2011: S. 17)
Rollenkonflikte im Journalismus
In einem späteren Kapitel geht Kepplinger auf mögliche Rollenkonflikte ein. An Journalisten werden formelle und informelle Verhaltenserwartungen gestellt. Ersteres sind berufsspezifische Standards wie Presserecht, Pressekodex und ähnliches und zweiteres betreffen Kleidungsstil oder auch das Auftreten (vgl. ebd.: S. 41). Die Außenwelt hat viele Erwartungen an die Journalisten. Manche davon sind konsistente Rollenerwartungen, passen also zueinander, andere Rollenerwartungen sind dagegen inkonsistent. Dadurch ergeben sich Intra-Rollenkonflikte. So sollen Journalisten
- schnell aber auch sorgfältig arbeiten
- umfassend informieren, aber auch die Privatsphäre respektieren
- sachlich informieren, aber auch vor Fehlentwicklungen warnen
- die Relevanz des Geschehenes würdigen, aber auch an die Interessen der Rezipienten denken
- bei der Berichterstattung nur journalistische Auswahlkriterien gelten lassen, aber auch die wirtschaftlichen Belange der Verlage beachten (vgl. ebd.: S. 42).
Nach Kepplinger sind Rollenselbstbilder normative Selbstwahrnehmungen. So kann sich der Journalist etwa als Investigativjournalist, Kritiker von Missständen oder als neutraler Berichterstatter sehen. Interne Rollenkonflikte werden wiederum dann ausgelöst, wenn die persönlichen Erwartungen eines Journalisten mit den an ihn gestellten externen Faktoren nicht zusammenpassen (vgl. ebd.: S. 44).
Nachrichtenwerttheorie
Einen Gutteil des Buches beschäftigt sich Kepplinger mit den Schwächen der Nachrichtenwerttheorie. So stellt er fest, dass die Nachrichtenfaktoren abhängig vom gesellschaftlichen Wandel sind. (Nachrichtenfaktoren sind gegebene Ereignismerkmale, die den Nachrichtenwert bestimmen.) Das wird gerade bei Umweltthemen deutlich, die heute viel mehr Aufmerksamkeit genießen als früher, obwohl etwa die Nachrichtenfaktoren Schaden oder Aktualität unverändert blieben. Demnach ist die Nachrichtenwerttheorie nicht, wie oft postuliert, eine zeit-, raum- und kontextunabhängige Theorie. Außerdem haben Nachrichtenfaktoren einen gattungsspezifisch unterschiedlichen Nachrichtenwert, man denke nur an die Nachrichtenauswahl von einer Boulevardzeitung versus einer Qualitätszeitung (vgl. ebd.: S. 61ff).
Ethik im Journalismus
Im Kapitel “Rationalität und Ethik im Journalismus” bedient sich Kepplinger der bekannten Definition der ethischen Verhaltensweisen nach Max Weber. Demnach können Menschen zweckrational oder wertrational handeln. Zweckrational wird dann gehandelt, wenn Zweck und Mittel und deren Folgen miteinander abgewogen werden. Beim wertrationalen Handeln wird dagegen keine Rücksicht auf die Folgen genommen. Des Weiteren kann zwischen verantwortungsethisch und gesinnungsethisch unterschieden werden. Gesinnungsethik orientiert sich nach bestimmten (unveränderlichen) Normen während Verantwortungsethik die möglichen Auswirkungen einer Handlung abwägen (vgl. ebd.: S. 177ff).
Journalismus als Profession
Als letzten großen Abschnitt im Buch wird der Journalismus als Profession behandelt. Laut Kepplinger befindet sich der Journalismus in einer Professionalisierungsphase, aber es ist zweifelhaft ob Journalismus bereits als Profession gelten kann (vgl. ebd.: S. 227). Kepplinger erwähnt Schumpeter, der zwischen freien und intellektuellen Berufe unterschieden hat. Intellektuelle hantieren mit der Macht des geschriebenen oder gesprochenen Wortes, haben aber keine direkte Verantwortlichkeit für praktische Dinge. Beim Journalismus wird Kritik zum Beruf, wobei Journalisten über Themen sprechen, über die ihnen die praktische Kompetenz fehlt (vgl. ebd. S. 231ff).
Ausführlich beschäftigt sich Kepplinger mit Berufsnormen. Berufsnormen sollen
- den internen Wettbewerb sowie
- ungerechtfertigte Laienkritik und Laienerwartungen eindämmen.
Das Aktualitätsgebot im Journalismus hebelt dieses Prinzip aber aus. Denn oft werden die Berufsnormen von Journalisten übergangen, wenn es darum geht möglichst schnell eine Nachricht zu publizieren (vgl. ebd.: S. 239f). Aufgrund der Art der Berufsausbildung und die Art des Berufszuganges ist für Kepplinger der Journalismus keine Profession (vgl. ebd.: S. 245). Für mich persönlich ist es allerdings eine leidliche Diskussion, ob Journalismus nun als Profession zu gelten hat oder nicht. Der Begriff Profession birgt wenig Erkenntnisgewinn und kann auch empirisch nicht sinnvoll eingesetzt werden. Warum wird streng an der Definition festgehalten, wonach eine Profession ein (1) Ganztagesberuf sein muss, (2) spezielle Ausbildungen notwendig sind, (3) nationale und/oder internationale Berufsverbände bestehen müssen, (4) es eine spezifische Berufsethik geben muss genauso wie (5) ein Berufsmonopol durch den Staat? (Kepplinger nennt noch eine spezifische Fachterminologie bzw. Fachsprache als weiteres Merkmal.) Abgesehen von der fehlenden Akademisierung müsste demnach auch das Schornsteinfegergewerbe als Profession zählen. Der Beruf eines IT-Technikers darf wiederum nicht als Profession zählen, denn hier gibt es kein Berufsmonopol und selbst eine Ausbildung ist nicht zwingend vorgegeben. Wer beweist, dass er programmieren kann, wird den Job erhalten. IT-Berufe sind aber eine hoch komplexe Tätigkeit mit eigener Fachsprache und oft braucht es einen jahrelangen Lernprozess um sich die notwendigen Kenntnisse anzueignen
Was sagt es uns also genau, wenn ein Beruf als Profession bezeichnet wird? Wie gehaltvoll ist der Erklärungswert dieses Begriffes tatsächlich? Für klassische Berufe wie Arzt oder Jurist passt die Definition zwar, aber für die heutige moderne und diversifizierte Berufs- und Arbeitswelt ist sie unbrauchbar. Beruf als Bezeichnung für die Arbeitstätigkeit einer Person reicht völlig aus.