Vor Sonnenuntergang von Gerhart Hauptmann ist ein Familiendrama und spiegelt die Milieutheorie wider. Typisch für den Naturalismus wird hier die „Kehrseite“ des Menschen schonungslos gezeigt: Brutalität, Stumpfsinn, Lieblosigkeit und Gier. Doch im Unterschied zu den meisten anderen Werken des Naturalismus wird nicht die Arbeiterklasse, sondern das Großbürgertum dargestellt, wobei man erst bei näherer Betrachtung die tiefen Abgründe und die Tragödie entdeckt. Hauptmann beschäftigt sich dabei mit der Abnormität der Liebe zwischen einem alten, vermögenden Mann und einem jungen, naiven Mädchen. Die Liebe der beiden verärgert die neidischen und selbstverliebten Erben, die zu den unredlichsten Mitteln greifen, um diese Liebe zu zerstören.
Erfolgreich als Geschäftsmann, unglücklich im Leben
Das Stück beginnt mit der 70. Geburtstagsfeier von Matthias Clausens. Nach dieser großen Feier, bei der er als Kommerzienrat geehrt worden war, kommt für Matthias die Ernüchterung. Seinem alten Freund Prof. Geiger erzählt er seine Sorgen. Vor allem in Erich Klamroth, Ottilies Mann und Direktor in den Clausenschen Betrieben, sieht Matthias einen von Macht und Geld besessenen Menschen. Seine Tochter Ottilie erkennt in ihrer Naivität aber nicht seinen wahren Charakter und ist ihm hörig. In weiterer Folge lernt Matthias die junge Inken Peters kennen. Sie verlieben sich ineinander. Damit beginnt die eigentliche Dramaturgie des Stückes.
Liebesbeziehung erregt Erben
Diese Liebe ist für die Erben von Matthias Clausen ein großer Schock, da sie um ihre Stellung und ihren Wohlstand fürchten. Inken versucht man zu bestechen und als das nichts hilft, folgen Drohbriefe. Laut den „rechtmäßigen Erben“ ist Inken Peters eine Erbschleicherin, die nur die Gutmütigkeit und Liebe von Matthias ausnützen will. So geben sie sich selbst, auf höchst heuchlerische Weise, besorgt um ihren Vater. Es kommt zudem zu Streitereien zwischen den Geschwistern und deren Ehepartnern. Jeder ist darum bedacht, den größten Gewinn aus den Betrieben des Vaters zu holen.
In den Tod getrieben
Die Situation spitzt sich zu, als der Verwandtschaft bewusst wird, dass sie es nicht geschafft haben, Inken und Matthias zu entzweien und Matthias nun Inken als Erbin eingesetzt hat. Sie fürchten sich um ihre Position, wollen den Vater aber weiterhin nicht verraten. Auch Professor Geiger, der alte Schulfreund von Matthias schlägt sich immer mehr auf die Seite der Verwandtschaft, der Druck auf das Liebespaar verstärkt sich, das jetzt schon vom ruhigen Leben in der Schweiz träumt. Schließlich schaffen die Kinder von Matthias es doch noch, Inken Peters zu vertreiben und Matthias verfällt in tiefe Depression. Dr. Steynitz, Hausarzt und an sich Freund von Matthias, überreicht ihm schließlich, im Auftrag der Kinder, einen Brief, der vor Gericht seine Unzurechnungsfähigkeit feststellen soll. Somit wollen sie seine Betriebe übernehmen und ihn loswerden. Matthias sieht daraufhin keinen Ausweg und bringt sich mit Zyankali um.